52. Pastiors Heft

FOCUS Online: Ist es nicht auch absurd, dass Pastior keinen übermäßigen Erfolg als Schriftsteller* hatte und jetzt dafür als literarische Figur groß herauskommt?

Bürger: Ich bitte Sie! Wenn der Büchnerpreis, der bedeutendste deutsche Literaturpreis, nicht das Gegenteil von Erfolglosigkeit ist. Als Lyriker hatte Pastior naturgemäß nicht so viel Aufmerksamkeit. Aber das ist bei den meisten Lyrikern der Fall.

FOCUS Online: Sie haben Herta Müller und Oskar Pastior zusammen erlebt, als sie vor einigen Jahren zu Ihnen ins Literaturarchiv nach Marbach kamen. Was haben die beiden dort gewollt?

Bürger: Sie wollten das Heft mit den Gedichten sehen, die Pastior während seiner Lagerzeit geschrieben hat. Das Heft war schon länger im Besitz unseres Archivs.

FOCUS Online: Die Gedichte sind auf braunes Zementsackpapier geschrieben. Ein Detail, das auch im Roman „Atemschaukel“ vorkommt.

Bürger: Ja. Es gab im Arbeitslager kein Papier, schon gar keine Schreibhefte. Pastior hat sich also aus Abfall ein Heft gebunden, um seine frühen, noch ganz romantischen Gedichte zu fixieren, die ihm lebenswichtig waren.

/ Focus

* er war eben – wie Herta Müller –  ein (Uns) wenig bekannter Lyriker aus Rumänien. Okay, ich bin des ironischen Tons nun satt… Natürlich kam der Büchnerpreis spät, er hat ihn ja nicht mal mehr erlebt. Natürlich ist es trotzdem Unsinn, von Erfolglosigkeit zu sprechen. Er war präsent, er hat in die Zeitschriften gefunden, zahlreiche Bücher erschienen, Tonträger, schließlich eine Werkausgabe. Pastior hatte das Glück, daß sich große Verlage ebenso wie kleine engagierten – ich nenne die wunderbaren Ausgaben bei Urs Engeler und Klaus G. Renner. Jeder, der wollte, konnte ihn lesen und hören. Und die anderen eben nicht. Selbst gebildete, belesene Menschen sind kaum mit der Lyrik vertraut, lese ich bei Adam Zagajewski, wörtlich: „es gibt Literaturprofessoren, die nur Prosa lesen“ (Sinn und Form 5/ 2009, S. 664). Wer kennt den Namen eines lebenden Dichters, fragt Kehle? Das ist der Stand der Dinge, cum grano salis auch bei der New York Times und sogar beim Focus.

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