111. Poesie des Untergrunds, aufgetaucht

Nur gut, dass das Bett von Elke Erb zusammengebrochen ist. Darunter kam ein Bettkasten zum Vorschein, der allerlei Bilder und Manuskripte enthielt. Die Lyrikerin meldete sich bei den Kuratoren der Ausstellung „Poesie des Untergrunds – Die Literaten- und Künstlerszene Ostberlins 1979 bis 1989“: Sie sollten kommen und holen, was sie brauchen könnten. Denn wenn das Bett erst repariert wäre, dann verschwinde die Kiste wieder für die nächsten zehn Jahre.

Die DDR-Geschichte versinkt mit atemraubendem Tempo in der Vergangenheit, so dass selbst deren Protagonisten sich ihrer Herkunft immer wieder versichern müssen und überrascht sind, was unter ihren Betten zum Vorschein kommt. Das ist wohl der Hauptzweck dieser Schau, die eben keine Ausstellung über die Kunstszene ist, sondern eine Selbstdarstellung der Beteiligten: Seht her, es war schön, und wir waren viele! Es gehe darum, „die Deutungshoheit über unsere eigene Geschichte zurückzugewinnen“, sagte der Kunstwissenschaftler Christoph Tannert bei der überfüllten Eröffnung am Freitagabend. Die Bereitschaft, Erinnerungsstücke zur Verfügung zu stellen, war groß, leicht hätten größere Hallen gefüllt werden können als das Prenzlauer-Berg-Museum. In einer parallelen zweiten Ausstellung, die kommenden Samstag im Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg eröffnet werden wird, sind deshalb ganz andere Exponate zu sehen.

Die Ausstellung beginnt mit einem Gruppenfoto aus dem Jahr 1981, das nach einer Lesung in der Keramikwerkstatt von Wilfriede Maaß entstand. Im Hintergrund Flaschen, Bilder und alte Schränke. Davor haben sie sich aufgebaut wie für ein Mannschaftsfoto: Helden einer Zeit, in der man karierte Hemden trug. Wer kennt sie noch: Eberhard Häfner oder Roland Manzke, Michael Rom oder Rüdiger Rosenthal? Nur wenige wie Jan Faktor oder Uwe Kolbe haben sich über die Wende hinaus als Schriftsteller etabliert. Die älteren, berühmteren, wie Wolfgang Hilbig, Adolf Endler, Elke Erb oder die mit ihren Bildern heute so erfolgreiche Malerin Cornelia Schleime, fehlen auf diesem Foto. Der bekannteste ist wohl der als Stasi-Spitzel enttarnte Sascha Anderson, der auch hier im Mittelpunkt sitzt. Einer seiner IM-Berichte – genaue und ausführliche Psychogramme aller befreundeten Künstler – ist das womöglich interessanteste Dokument der Ausstellung. / Jörg Magenau, Tagesspiegel 22.11.

Bis 7. Februar, Prenzlauer Berg Museum, Prenzlauer Allee 227/228, Sa–Do 10–18 Uhr, Eintritt frei.

Begleitbuch zur Ausstellung: Uwe Warnke, Ingeborg Quaas (Hrsg.): Die Addition der Differenzen. Verbrecher-Verlag Berlin, 2009. 290 S., 19,90 €.

Beim Leipziger textenet-Festival gibt es gegenwärtig Zeichnungen aus diesem Umkreis zu sehen

Nur noch bis 23.11. (!) in der Werkstatt für Kunstprojekte, Karl Heine Straße 46-48

Proben siehe

98. Bert Papenfuß und Ronald Lippok

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