38. Stille Post

Ebenfalls aus New York stammt Lisa Oppenheim, deren Ausstellung bei Klosterfelde zu sehen ist. …

Die Übersetzung von Formen und Worten ist das Thema ihrer zweiten Arbeit, einer filmischen Doppelproduktion, die sich einem Gedicht von Ezra Pound widmet (12 000 Euro). Pound arbeitet mit der Übersetzung eines Gedichts von Li Bai, ohne allerdings Chinesisch zu können; er verließ sich darauf, dass Chinesisch im Kern eine piktographische Sprache sei, man also dem Sinn durch die formale Interpretation der Zeichen nahe komme, was natürlich* ein absurder Irrtum ist, der ein absurdes, stilleposthaftes Gedicht zur Folge hatte. Oppenheim ließ das Originalgedicht von einem Experten für ostasiatische Literatur übersetzen und bekam einen ganz anderen Text; beide werden in der Filmarbeit nebeneinandergeblendet. Oppenheim verwandelt – was ein optisches Echo auf Pounds fragwürdige Übersetzungsstrategie ist – Pounds Gedicht zurück in assoziative Bilder von Schuhen, Beinen, Katzen, die die Künstlerin in New Yorks Chinatown sah – einem Viertel, das ja selbst wiederum eine Art Übersetzung Chinas ist. / Niklas Maak, FAZ.net 8.9.

*) „Natürlich“ sollte man vielleicht nicht so oft gebrauchen; auch dieses führt in die Irre. Den gleichen Effekt, zwei völlig unterschiedliche Gedichte, findet man bei jedem anderen Vergleich. „Stilleposthaft“ ist ja vielleicht jede Übersetzung, aber bestimmt jede aus dem Chinesischen. (Kein Einwand gegen das Kunstwerk, aber gegen den Beschreiber). Hier als kleine Probe der Anfang eines Mondgedichts von Li Bai in mehreren Übersetzungen (jeder Übersetzer hat andere Interessen und andere Kenntnisse, aber keiner, auch nicht Pound, arbeitet so wie oben beschrieben):

Einsamer Trunk unter dem Mond

Unter Blüten meine Kanne Wein –
Allein schenk ich mir ein, kein Freund hält mit.
Das Glas erhoben, lad den Mond ich ein,
Mein Schatten auch ist da, – wir sind zu dritt.
Gewiß versteht der Mond nicht viel von Wein,
Und was ich tue, tut der Schatten blind,
Doch sollen sie mir heut Kumpane sein
Und ausgelassen unterm Frühlingswind.

Günter Eich, in: Wilhelm Gunder, Annemarie Schimmel und Walther Schubring, Lyrik des Ostens, München, 1978; p. 303

Die drei Genossen

In der Laube von Jasmin sitz ich beim Weine.
Gute Genossen heischt die gute Stunde.
Da steigt der Mond übern First, verneigt sich mit goldenem Scheine.
Höflich verneige auch ich mich, und meine Schatten verneigt sich als Dritter im Bunde …

Klabund

Gelage im Mondschein

Mit einem Krug voll Wein saß ich inmitten
duftender Blumen ganz allein.
Ich hob den Becher, um den Mond zu bitten,
für diese Nacht mein hoher Gast zu sein.
Da sah ich meinen Schatten, und als Dritten
lud ich auch ihn, den Ewigtreuen ein. …

Ernst Schwarz, Chrysanthemen im Spiegel, Berlin und Weimar, 1976; p. 93

Alone And Drinking Under The Moon

Amongst the flowers I
am alone with my pot of wine
drinking by myself; then lifting
my cup I asked the moon
to drink with me, its reflection
and mine in the wine cup, just
the three of us; then I sigh
for the moon cannot drink,
and my shadow goes emptily along
with me never saying a word;
with no other friends here, I can
but use these two for company;
in the time of happiness, I
too must be happy with all
around me; I sit and sing
and it is as if the moon
accompanies me; then if I
dance, it is my shadow that
dances along with me; …

Rewi Alley, 1980

Amongst the flowers is a pot of wine

Amongst the flowers is a pot of wine
I pour alone but with no friend at hand
So I lift the cup to invite the shining moon,
Along with my shadow we become party of three

The moon although understands none of drinking, and
The shadow just follows my body vainly
Still I make the moon and the shadow my company
To enjoy the springtime before too late

Ezra Pound

The Little Fete

I take a bottle of wine and I go to drink it among the flowers.
We are always three–
counting my shadow and my friend the shimmering moon.
Happily the moon knows nothing of drinking,
and my shadow is never thirsty. …

J.C. Cooper, 1972

Drinking Alone by Moonlight

Here among flowers one flask of wine,
with no close friends, I pour it alone.

I lift cup to bright moon, beg its company,
then facing my shadow, we become three.

The moon has never known how to drink;
my shadow does nothing but follow me.

But with moon and shadow as companions a while,
this joy I find must catch spring while it’s here.

Stephen Owen, 1996

Drinking under the Moon

The wine among the flowers,
O lonely me!
Ah moon, aloof and shining,
I drink to thee.

Beside me, see my shadow,
Rejoice we three!
Moon, why remote and distant?
Dance with my shade and me.

Winifred Galbraith, 1997

Hier das Original und 42 englische Fassungen, darunter eine gesungene, George Thorogood’s I Drink Alone

Hier als Zugabe eine weitere kleine Probe aus einem anderen berühmten Mondgedicht von Li Bai:

Vor meinem Bette
— ich Mondschein seh‘,
als wär‘ der Boden
— bedeckt mit Schnee.
Ich schau zum Mond auf,
— der droben blickt,
der Heimat denkend
— das Haupt mir sinkt.

Alfred Forke

In fremdem Lande lag ich. Weißen Glanz
malte der Mond vor meiner Lagerstätte.
Ich hob das Haupt – ich meinte erst, es sei
der Reif der Frühe, was ich schimmern sah,
dann aber fühlte ich: der Mond, der Mond!
und neigte das Gesicht zur Erde hin,
und meine Heimat winkte mir von ferne.

Hans Bethge

Night Thoughts

Moonlight near foot of bed
Like frost on ground
— Lifting head gaze round moon
—-Dream of home

Walasse Ting: Chinese Moonlight. 63 poems by 33 poets. New York o.J.

(Achwas, natürlich ist Stille Post eine gute Definition von Poesie, ja von Kunst überhaupt.)

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